Anke Humpeneder-Graf

Seyboldsdorf, Stadt Vilsbiburg

Eruptiver Exzentriker, sensibler Künstler: Der Bildhauer Georg Brenninger wäre heuer 100 Jahre alt geworden

Erschienen in der „Vilsbiburger Zeitung“, 14. November 2009

Fragt man die Veldener, dann bekommt man allerhand zu hören über Georg Brenninger (1909-1988), den wohl prominentesten Ehrenbürger aus ihrer Mitte. Immer mit weißem Anzug und schwarzem Hut soll er aufgetreten sein, mit dicken Amischlitten übers Land gedüst, stets begleitet von steilen Zähnen in kurzen Röcken. Ein Angeber soll er gewesen sein, polternd, barock, exzentrisch. Als „eruptiven Niederbayern“ betitelte ihn Wilfried Scharnagl anlässlich seiner Laudatio zum 100. Geburtstag. Aber auch ein feiner Lehrer sei er gewesen, erzählen ehemalige Weggefährten, der seine Studenten immer fair behandelt, uneigennützig unterstützt und für Arbeiten, die sie für ihn erledigten, anständig bezahlt habe. Eine ambivalente Persönlichkeit also, dieser große Kunstprofessor aus Niederbayern, den der kleine Markt Velden mit einem „Brenninger-Jahr 2009“ und zahlreichen, über das Jahr verteilten Feierlichkeiten ehrt.

Denn ungeachtet von all dem, was die Zeitzeugen über die Person Brenninger zu berichten wissen, hat der Bildhauer seinem Ort ein reiches künstlerisches Erbe hinterlassen und der Ort hat das Pfund erkannt, mit dem sich wuchern lässt. So wurde das „Brenninger-Freilichtmuseum Markt Velden“ eröffnet, unter dem Titel „Bildhauer Georg Brenninger. Heimatsohn und Künstlerfürst“ erschien ein reich bebildertes Büchlein über die verschiedenen Facetten im Werk des Künstlers und mit „Der Bildhauer Georg Brenninger“ wird die soeben fertiggestellte Dissertation über den Künstler von Beate Pohlus veröffentlicht. Dazu gab es zahlreiche Veranstaltungen, Busfahrten zu seinen Werken in München und Umgebung, das „Professor Brenninger Memorial“, ein Pferderennen zum Andenken an die Pferde- und Jagdbegeisterung des Künstlers, Gottesdienst und Gedenkakt mit Kranzniederlegung am Ehrengrab, öffentliche Filmvorführungen und Vorträge. Mit einem Benefizkonzert und einer Ausstellung in der Veldener Güterhalle soll das Gedächtnisjahr ausklingen. Ein eigener Arbeitskreis wurde in Velden für die Organisation des Brenninger-Gedächtnis-Jahres gegründet, in dem sich alle drei Bürgermeister, Vertreter der Fraktionen im Gemeinderat und Veldener Bürger für die Würdigung des Brenninger-Erbes engagieren und die peinliche Kampagne, die in Landshut jüngst um die durch einen Umbau nötig gewordene Versetzung von Fritz Koenigs „Großer Flora“ stattfand, als kleinliche Farce deklassieren.

Professor für Bildhauerei an der Münchner Akademie

Um ein reiches Erbe geht es hier wie dort. Allein dreißig Werke aus der Hand und Werkstatt Brenningers finden sich in Velden, das damit – im Verhältnis zu seiner Größe – über eine ganz außergewöhnlich hohe Kunstwerkdichte verfügt und davon profitiert, dass Brenninger starke Wurzeln fühlte und seiner Heimat stets eng verbunden blieb. Sein Wohnort indes war schon früh München, wo der Künstler ein sehr erfolgreiches Leben führte. Von 1948 bis 1965 war Brenninger Professor für Plastik in Verbindung mit Architektur an der Technischen Universität München und von 1961 bis 1978 Professor für Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste München. Als solcher war er eingebettet in eine höchst namhafte Genealogie, die Münchner Bildhauerschule, die mit Adolf von Hildebrandts (1847-1921) viel beachteter Schrift „Das Problem der Form“ (1893) zu Ende des 19. Jahrhunderts eine neue Ära der Bildhauerei in München einleitete. Mit seinem Wittelsbacherbrunnen am Lenbachplatz hatte Hildebrandt neue Maßstäbe gesetzt und eine Bresche für die moderne Bildhauerei geschlagen: nicht mehr der Gehalt, sondern die Gestalt, also die Form eines Bildwerks rückte in den Mittelpunkt des Interesses: ein Brückenschlag zur Abstraktion.

Hildebrandts Erbe wurde von der nachfolgenden Bildhauergeneration um Bernhard Bleeker (1881-1968) und Hermann Hahn (1868-1942) auf deren Schüler weitergegeben und prägte über vier Generationen die Bildnerei an der Münchner Akademie. Brenninger, selbst Hahn-Schüler, gehörte zu den bekanntesten Vertretern der klassischen Moderne in München, die ihre Stärke und Orientierung aus den Urelementen der plastischen Kunst mit ihren statuarisch klassischen Formen gewann. Zu seiner Generation, die die Münchner Schule der Bildhauerei erneuerte, gehörten auch Hans Wimmer (1907-1992) und Toni Stadler (1888-1982), Anton Hiller (1893-1985), Josef Henselmann (1898-1987), Heinrich Kirchner (1902-1984), Fritz Wrampe (1893-1934), Ludwig Kasper (1893-1945) und Priska von Martin (1912-1982). In der jüngsten Generation zählen Fritz Koenig (geb. 1924), Herbert Peters (1925-2006), Michael Croissant (1928-2002) und Wilhelm Uhlig (geb. 1930) zu den wichtigsten Vertretern dieser Schule, die erst nach einer Erneuerung des Kunstbegriffs durch die Mitglieder der Gruppen „Spur“, „Wir“ und „Geflecht“ abgelöst wurde, in denen Künstler wie Lothar Fischer (1933-2004) und Hans Matthäus Bachmayer (geb. 1940) gegen konventionelle Vorstellungen der Kunst opponierten. Als Meisterschüler Georg Brenningers muss auch der derzeitige Präsident der Akademie der Bildenden Künste, Nikolaus Gerhart (geb. 1944) genannt werden, außerdem verweist Beate Pohlus in ihrem Buch auf Walter Grill (geb. 1937), Hubert Lang (geb. 1946), Peter Vögele (geb. 1949), Mac Kneißl (geb. 1938) und Michael Höllrigl (geb. 1936) als weitere erfolgreiche Bildhauer seiner Klasse.

Nicht eben geradlinig war der Weg Brenningers zu Münchens vielgerühmtem „letztem Künstlerfürsten“, als den ihn die Süddeutsche Zeitung 1988 anlässlich seines Todes betrauerte. Als Sohn eines Maurermeisters begann auch Brenninger als Maurer und kam erst über die Architektur zur Bildhauerei. Von seinem architektonischen Fingerspitzengefühl zeugen einige Bauten, darunter das mittlerweile unter Denkmalschutz gestellte gläserne Kithanhaus (1953/54) mit seiner optisch völlig offenen gläsernen Fassade am Münchener Maximiliansplatz und der Kubus seines Atelierhauses (1954/55) in der Münchener Georgenstraße, dessen Garten direkt an die Akademie grenzt.

Doch berühmt wurde er als Bildhauer. Als Bekanntestes seiner Werke gilt das Figurenfries im unteren Giebelfeld des Münchener Nationaltheaters, das „Apoll und die neun Musen“ (1964-1972) darstellt. Es ist zugleich eines seiner Umstrittensten. Während der obere Teil des Doppelgiebels des klassizistischen Gebäudes von den Bomben 1943 verschont geblieben und die Mosaikgestaltungen von Ludwig Schwanthaler erhalten geblieben waren, musste der Portikus mitsamt dem unteren Giebelfeld nach dem Krieg neu aufgebaut werden. In einem heftig umstrittenen Wettbewerb setzte sich Brenninger mit seiner monumentalen Skulpturengruppe durch. Die gegenständliche Form der Giebelgestaltung, die immerhin der größte Bildhauerauftrag nach dem Krieg im süddeutschen Raum war, schien seinen Gegnern so gar nicht in die späten sechziger Jahre zu passen. Eingeweiht 1972, rechtzeitig vor Beginn der olympischen Sommerspiele, rhythmisiert die Figurengruppe bis heute das Giebelfeld und prägt den Max-Joseph-Platz mit: Ein wuchtiger Apoll, der thronend auf seiner Lyra spielt, umgeben von den stehenden und sitzenden Musen aus Muschelkalk. Apoll gilt in dem von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling aufgestellten und später durch Friedrich Nietzsche popularisierten Begriffspaar „apollinisch-dionysisch“ als derjenige der beiden griechischen Götter, der Form und Ordnung repräsentiert im Gegensatz zu Dionysos, der für Rauschhaftigkeit und einen alle Formen sprengenden Schöpfungsdrang steht.

Leben und Werk Brenningers verweisen eher auf Letzteren, atmen zumindest die Ambivalenz des Götterpaares: Die monumental thronenden Götter im Münchener Giebelfeld einerseits, andererseits die straffe und ausgewogene Tektonik der Felsenbrunnen, bei denen die Strenge des Steins mit der lebendigen Kraft des Wassers eine fruchtbare Verbindung eingeht, daneben ausdrucksstarke, in ihrer sakralen Ruhe an Barlach orientierte Einzelfiguren wie „La Priére (das Gebet)“ (1981) und die Trauernde Mutter (1953) auf dem Friedhof in Thannhausen, dann wieder geometrisch-figürliche Formakkumulationen wie beim bronzenen „Gemini“-Brunnen (1974) und andererseits niedliche Täubchen, die auf Säulen und Balken ruhen.

Heimatgemeinde als schöpferisches Refugium

Die Spuren dieses lebendigen Werks im öffentlichen Raum sind zahlreich. Neben dem Nationaltheater-Fries findet man in München eine Reihe von Brunnen: Den bronzenen „Kontinente-Brunnen“ (1980) vor der Neuen Pinakothek in der Barerstraße etwa, den Felsenbrunnen (1963) aus Aluminium der Münchener Rückversicherung an der Königinstraße am Englischen Garten, den „Zehnflammigen Leuchter“ aus rotem Granit vor der Obersten Baubehörde, gegenüber dem Haus der Kunst, sowie den „Tränenden Baum“ (1961) aus Kupfer im Hof des Geschwister-Scholl-Gymnasiums und den bronzenen „Taubenbrunnen“ (1980) in der Mauerkircherstraße.

Zu seinen schönsten Werken gehören die gegenstandsfernen wie die dreizehn Meter hohe Altarwand aus Tuffstein (1957) für die Söckinger Pfarrkirche, in die Brenninger den lateinischen Anfang des Johannesevangeliums meißelte, nur karg durchbrochen von vier Szenen aus dem Leben Jesu. Sein Werkverzeichnis nennt darüberhinaus zahlreiche Arbeiten im öffentlichen Raum und in Sammlungen in Nürnberg, Stuttgart, Fulda und Hamburg, in Wien, Zürich und Lyon, in New York, Brasilia und Caracas – und eben viele in Thannhausen, Bonbruck und Velden, den Orten persönlicher Verbundenheit, denen er zahlreiche Werke geschenkt hat.

Seiner Heimatgemeinde muss er unendlich dankbar gewesen sein, sie war sein Rückzugsort und sein Inspirationsquell, im Schnitt zwei mal die Woche soll er hierher gekommen sein, um sich an den „busigen Hügeln“ Niederbayerns, wie er selbst die geliebte Natur hier nannte, wieder aufzuladen. Seinen Geburtsort in dem alten Bauernland beschrieb er selbst: „Es ist der Marktflecken Velden, an einem kleinen Fluss, der Vils, gelegen. Die nächsten größeren Städte sind Landshut und Passau. Die Gegend ist nicht so großartig wie die der Alpen. Fruchtbare Äcker und Wiesen reihen sich an sanfte Hügel und weite Täler. Alte Bäume begleiten gewundene Straßen. Am bäuerlichen Lebensrhythmus hat sich bis heute dort wenig geändert. Aus uralten Zeiten ist ein gutes Wissen um die großen einfachen Dinge des Lebens erhalten geblieben, um Geburt und Tod, Jugend, Liebe und Alter.“ Brenninger und sein Werk gehören zu Velden, wie Velden zu Brenninger gehört. Sie haben sich gegenseitig bedingt und gegenseitig bereichert. Auch die Dankbarkeit dafür, so zeigt nicht zuletzt das würdige Bemühen um den Nachlass, ist gegenseitig.

Autorin: Anke Humpeneder